Geschichte des Universitätsgerichtes
Als die Universität Halle 1694 gegründet wurde, gehörte zu ihren Privilegien auch die Gerichtsbarkeit über alle Angehörigen der Universität (Universitätsbürger). Im Rahmen dieser Gerichtsbarkeit konnte die Universität kleinere Vergehen und Verstöße vor ihr Gericht ziehen und aburteilen. Diese Gerichtsbarkeit hat mit verschiedenen Abänderungen und Einschränkungen im Prinzip bis 1945 bestanden. Die Entwicklung des Universitätsgerichtes begann am 13. März 1695 mit der Einsetzung eines Syndikus 1), der unter den Beamten der Universität die erste Stelle einnahm. Seine Aufgabe bestand anfangs in der Mitwirkung bei der genauen Ausführung der von dem Prorektor und den akademischen Behörden gefassten Beschlüsse. Er stand dem Prorektor zur Seite und war insbesondere zur Unterstützung des Universitätsdirektors bestimmt, dem er auch unmittelbar unterstellt war. Im Laufe der Zeit wuchsen Umfang und Bedeutung seines Amtes, so dass später ein zweiter Syndikus eingestellt werden musste. 2) Am 28. Juni 1790 wurde von dem Minister Wöllner und dem Großkanzler Carmer ein "Reglement über die Verwaltung der Universitätsgerichte" erlassen. 3) Ein Plan zur besseren und zweckmäßigeren Einrichtung des Universitätsgerichts aus der Zeit um 1800 4) legte folgende Struktur des Gerichts fest: Der jeweilige Prorektor der Universität war der Chef des akademischen Gerichts. Das eigentliche Gericht bestand aus dem Universitätsdirektor und dem ersten und zweiten Syndikus. Daneben waren ein Aktuarius und die Pedelle tätig. Der zweite Syndikus nahm zugleich die Stelle eines Sekretärs ein. Dieses Kollegium entschied in allen eingeleiteten und verhandelten Rechts-, Disziplinar- und Kriminalsachen in erster Instanz ohne Unterschied. Diese Verfassung des Universitätsgerichtes blieb, sowohl hinsichtlich der Verwaltung, als auch der Gerichtsbarkeit, bis zum Eintritt der westfälischen Regierung im Jahre 1808 erhalten.
Im Ergebnis der Befreiungskriege 1813/1814, an denen auch besonders die Studentenschaft teilnahm, schlossen sich die Studenten zu Burschenschaften zusammen. Die Universitäten wurden die Zentren der revolutionären Jugend. Als Reaktion auf die fortschrittlichen Regungen des deutschen Volkes und insbesondere an den Universitäten wurden im Jahre 1819 die reaktionären Karlsbader Beschlüsse gefasst. Zur Ausführung dieser Beschlüsse wurden an den preußischen Universitäten außerordentliche Regierungsbevollmächtigte eingesetzt 5) und schärfere Anweisungen über die Universitätsgerichtsbarkeit erlassen. Die Geschäftsanweisung für die Regierungsbevollmächtigten räumte ihnen eine ausgedehnte, und tief eingreifende polizeilich-politische Macht ein. 1848 wurde die Dienstbezeichnung des Regierungsbevollmächtigten in die eines Kurators umgewandelt, ohne dass sich der Aufgabenbereich änderte. Dieses Amt bestand bis zum 1. Dez. 1948. Gleichzeitig mit der Einsetzung eines Regierungsbevollmächtigten wurde die Stelle des Syndikus in die eines Universitätsrichters umgewandelt. Er war unmittelbar dem Regierungsbevollmächtigten unterstellt und übte seine Funktion nebenberuflich aus. Sein Aufgabenbereich gliederte sich wie folgt: Er verhandelte und urteilte solche Fälle ab, wie Zweikämpfe, tätliche Beleidigungen der Studenten untereinander, Beleidigung der Lehrer und Obrigkeit, Aufwiegelei, Unruhestiftung und Teilnahme an verbotenen Verbindungen, vorbehaltlich ihrer strafrechtlichen Verfolgung durch die ordentlichen Gerichte. Nach den entsprechenden Vorschriften legte der Universitätsrichter die einzelnen Urteile dem akademischen Senat zur Entscheidung vor.
Universitätsrichter waren nacheinander:
1819 - 1825 Justizrat Dryander (bisher Syndikus)
1825 - 1850 Kriminaldirektor Schultze (musste mehrmals vertreten werden)
1851 - 1862 Justizrat Schede
(1862) 1864 - 1885 Kreisgerichtsrat Thümmel
1885 - 1895 Prof. der juristischen Fakultät Dr. Schollmeyer
1895 - 1897 Landgerichtsrat Ebbecke
1. Mai 1897 - 30. Juni 1897 Landgerichtsdirektor Wyszomirski
1. Juli 1897 - 1. Juni 1915 Landgerichtsdirektor Sperling
6. Okt. 1915 - 1923 Landgerichtsdirektor Dr. Gieseke
(1923 wurde die Funktion des Universitätsrichters in Universitätsrat umgewandelt.)
Im Zusammenhang mit der Ausarbeitung des Bürgerlichen Gesetzbuches erhielt die Universität im Oktober 1879 eine neue Gerichtsverfassung. Mit ihr wurde der Aufgabenbereich des Universitätsrichters eingeschränkt. Die Studenten unterstehen seitdem in erster Linie den allgemeinen Gesetzen (Bürgerliches Gesetzbuch) und der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die akademischen Behörden durften seitdem nur noch Disziplinarverfahren und Strafen bis zur Entfernung von der Universität oder bis zum Ausschluss von dem Universitätsstudium überhaupt verhängen. Im Jahre 1923 wurde dem auch äußerlich Rechnung getragen und auf Grund der Neuordnung der Universitätsverfassung die Stellung des Universitätsrichters in die eines Universitätsrats umbenannt. Die Hitlerdiktatur benutzte die akademische Gerichtsbarkeit für ihre reaktionären hochschulpolitischen Ziele und handhabte die Disziplinargewalt vorwiegend zur Verfolgung missliebiger politischer Regungen unter den Studenten. Die Stellung des Universitätsrats wurde 1937 in die eines Universitätsrichters und Syndikus umgewandelt. Der Aufgabenbereich des Universitätsrichters bestand in der Bearbeitung der Disziplinarsachen und Vernehmungen, während der Syndikus die Beratung der Universität in laufenden Verwaltungssachen zu erledigen hatte. Beide Aufgabenbereiche lagen in Halle jedoch in einer Hand. Entsprechend den neuen gesellschaftlichen Verhältnissen und der Struktur der antifaschistisch-demokratischen Ordnung wurde nach 1945 zunächst ein (meist nebenberuflich tätiger) Universitätsrat eingesetzt. Seit 1952 ist an der Universität ein Justitiar tätig (seit 1953 hauptberuflich). Die Aufgaben des Universitätsrats bzw. Justitiar bestehen seit 1945 in erster Linie in der Funktion einer Rechtsstelle für die Belange der Universität und ihrer Leitung und in der Führung der Ermittlungen für den Disziplinarausschuss der Studenten.
Bestandsgeschichte
Der Aktenbestand des Universitätsgerichtes ist im Universitätsarchiv als Repositur 5 aufgestellt. Er setzt sich aus gebundenen Akten zusammen und ist ein Einheitsbestand. Innerhalb der einzelnen Akten wurde die chronologische Buchablage angewandt. Der Bestand beginnt im Jahre 1702 und schließt im Jahre 1944 ab. Die Registraturverhältnisse des Bestandes sind im Allgemeinen klar herausgebildet. Der kleinere Teil des Bestandes besteht aus Generalakten, während der größere Teil aus Spezialakten besteht. Im Jahre 1749 bekam das Universitätsgericht eine eigene Registratur. Bis dahin wurden die Akten des Universitätsgerichts beim Rektorat geführt. Soweit die einschlägigen Akten des Syndikus nicht als Vorakten in die neu gebildete Registratur des Universitätsgerichts übernommen wurden, sind Generalia und Spezialia aus dem Universitätsgericht für die Zeit von 1695 - 1749 in der Rep. 3 des Universitätsarchivs enthalten.
Der Bestand des Universitätsgerichts wurde bei der Einrichtung des Universitätsarchivs im Jahre 1948 im Archiv aufgenommen und erhielt die Bezeichnung Rep. 5. Die vorgefundenen Registraturhilfsmittel sind sehr lückenhaft und konnten daher bei der Neuordnung bzw. Aufstellung eines Findbuches keine Anwendung finden. Obwohl das im Jahre 1948 aufgestellte Verzeichnis eine gewisse Gliederung erkennen ließ, waren bei der Titelbildung und den Jahresangaben große Mängel festzustellen. Offensichtlich haben im Bestand mehrere Kassationen stattgefunden, wie die lfd. Nr. 20, 73 und 21 erkennen lassen. Die vier vorgefundenen alten Repertorien wurden mit in den Bestand übernommen und sind unter der lfd. Nr. 272 zu finden.
Da für eine Ordnung nach den Registraturprinzipien keine ausreichenden Voraussetzungen gegeben waren, aber verschiedene Geschäftsverteilungspläne zur Verfügung standen, erfolgte die Ordnung nach dem Verwaltungsstrukturprinzip. Diesem Prinzip zufolge musste zunächst eine Gliederung nach zwei Abteilungen (1702 - 1819; 1819 - 1944) vorgenommen werden. Innerhalb beider Abteilungen wurden dann die entsprechenden Untergruppen gebildet.
Erkennbare Zusammenhänge zwischen einzelnen Akten der Untergruppen C und D der Abteilung II wurden durch Verweise kenntlich gemacht.
Als verwandte und anschließende Bestände sind zu betrachten:
Rep. 3 Rektorat Universität Halle 1694 - 1817
Rep. 4 Rektorat Universität Halle-Wittenberg 1817 - 1948 insbesondere Titel XIV
Rep. 6 Akten des Universitätskuratoriums 1819 - 1948
Stadtarchiv Halle: Rep. 1 - Polizeiverwaltung
Archiv der historischen Akten
Kap. XXX I i Universität und Theater 1822-1883 und I p Vereine 1841
Rep. 1 - Polizeiverwaltung
Lfd. Nr. XXXIV Kap. B Titel 6 Nr. 1 Bd. 1
Kirchen- und Schulsachen - Die hiesige Universität im Allgemeinen 1828
Deutsches Zentralarchiv - Abteilung Merseburg: Rep. 76, Va, Sektion 8, Abteilung 2
Anmerkungen:
1) Universitätsarchiv Halle, Rep. 3, Verzeichnisse Nr. 13, Bl. 18/19
2) Über die Einzelheiten informiert am besten Universitätsarchiv Halle Rep. 3, S, Nr. 7, Bd. 1 und W. Schrader, Geschichte der Friedrichs-Universität zu Halle, Berlin 1894, Bd. 1
3) Universitätsarchiv Halle, Rep. 3, Verzeichnisse Nr. 11
4) Universitätsarchiv Halle, Rep. 5, Nr. 72
5) "Instruktion für die außerordentlichen Regierungsbevollmächtigten bei den Universitäten" und "Reglement für die künftige Verwaltung der akademischen Disziplin und Polizeigewalt bei den Universitäten" vom 25. Nov. 1819, beide in Gesetz-Sammlung für die preußischen Staaten Jg. 1819 Nr. 21 S. 233 bzw. S. 238.
Weitere Verfügungen in J. F. W. Koch, Die preußischen Universitäten, 3 Bde., Berlin 1839/1840.
Günter Grahn, August 1960
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